„Situationsangepasste Übersetzungstätigkeit“ – das ist ein Begriff, über den man zu Beginn vielleicht stolpert, aber er stimmt. Was passiert zum Beispiel, wenn einer zugewanderten Familie erläutert wird, dass die Kinder in Deutschland zur Einschulung eine Schultüte bekommen? Wann bringt man eine Schultüte mit? Was gehört in eine Schultüte? Wie sieht eine Schultüte aus? Scheinbar selbstverständliches Wissen, das man aber nicht hat, wenn es in dem Herkunftsland es nie eine Schultüte gegeben hat.
Daher gehört zum Schulungsprofil des Lernmobils auch der Bereich der situationsangepassten Übersetzungstätigkeit, die über die wortwörtliche Übersetzung hinausgeht und das interkulturelle Verständnis berücksichtigt.
Früher Start des Integrationslotsenprojekts
Das Lernmobil in Viernheim startete in den Achtzigerjahren auf die Initiative einiger arbeitsloser Lehrerinnen und Lehrer als kleiner Verein, um Kindern aus sogenannten bildungsfernen Familien, insbesondere Kinder aus Migrantenfamilien, Bildungsmöglichkeiten bereitzustellen, sowohl was die schulische Förderung wie auch außerschulische Bildungsmöglichkeiten anbelangte. Inzwischen verfügt das Lernmobil über 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie 60 Ehrenamtliche, arbeitet mit 30 Bildungspartnern zusammen und bietet Bildungsarbeit für Kinder und Erwachsene an und ist Teil der Interkulturellen Steuerungsgruppe in Viernheim und Bürstadt.
2004 stellte man im Sozialen Netzwerk der Stadt fest, dass Familien insbesondere mit Migrationshintergrund die Beratungsangebote nicht annahmen bzw. schnell abbrachen. „Es zeigten sich viele Barrieren, vor allem sprachliche. Und wenn dann bei Gesprächen die minderjährigen Kinder oder Verwandte übersetzen mussten, war uns spätestens klar, dass sich hier etwas verändern muss“, sagt Geschäftsführerin Dr. Brigitta Eckert. So wurde das Projekt PFIVV entwickelt – das Projekt für Interkulturelle Vermittlung in Viernheim. Kurz darauf bot das Land das Integrationslotsenprojekt an und Viernheim war eine der ersten teilnehmenden Kommunen.
Zentrale Rolle im Kreis
„Uns war und ist Nachhaltigkeit sehr wichtig“, sagt Dr. Brigitta Eckert. „So konnten wir mit Unterstützung der Bürgermeister die Anregungen unserer Integrationslotsinnen und -lotsen auf Veränderungen in den Behörden auch umsetzen. Auf diese Weise wurden viele Verständigungsschwierigkeiten überwunden, die sich aus den verschiedenen Kulturen und den Sprachbarrieren ergaben.“
Das Lernmobil ist nicht nur in Viernheim aktiv, sondern auch im gesamten Kreis Bergstraße sowie in Teilen des Odenwaldkreises. „Wir bilden zentral für den Kreis Integrationslotsen aus und bieten Vertiefungsseminare an“, erläutert Projektleiterin Gonca Karagöz. Sie durchlief die Basisqualifizierung selbst 2013 als Ehrenamtliche und ist seit 2015 mit einer halben Stelle für die Koordination tätig.
Es gibt klare Vereinbarungen zwischen der Koordination und den Ehrenamtlichen: Zur Basisqualifikation gehören auch ein Praktikum und eine Abschlussprüfung, die Ehrenamtlichen verpflichten sich zur regelmäßigen Teilnahme an den Teamtreffen und an zwei Vertiefungsseminaren pro Jahr. „Damit zeigen unsere Ehrenamtlichen, dass sie ein Teil des Ganzen sind und sie ihr Amt auch ernst nehmen“, sagt Gonca Karagöz.
Gemeinsamkeit verbindet
Ob Sommerfest oder Weihnachtsfeier, es gibt immer wieder Möglichkeiten der gemeinsamen Aktivität unter den Integrationslotsinnen und -lotsen. Dr. Brigitta Eckert denkt gerne an die Berlinfahrt auf Einladung einer Bundestagsabgeordneten zurück. „Wir haben alle gemeinsam Geschichte erlebt, wie zum Beispiel beim Besuch des Reichstagsgebäudes oder im Museum am Checkpoint Charlie, als wir die vielen verlassenen Koffer sahen. Das gab viel Anlass zum Gespräch und zeigte die Ähnlichkeit von Erlebnissen von Menschen, die auf der Flucht sind auf, egal aus welchem Land sie kommen.“