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Kompetenzzentrum Vielfalt
Gute Beispiele

Das Hattersheimer Modell ist Vorreiter im Kreis

Foto: Stadtteilbüro Hattersheim

Seit vielen Jahren lebt Sara Girmay Solomon alleine in Deutschland. Die Tochter von äthiopischen und eritreischen Eltern hatte in der Heimat studiert und möchte dies auch in Deutschland tun. Doch bis dazu alle Voraussetzungen erfüllt sind, ist für sie auch ehrenamtliches Engagement wichtig. Sie möchte helfen und gleichzeitig ihre sozialen Kontakte in der neuen Heimatstadt Hattersheim ausbauen. So kam sie vor einigen Jahren ins Stadtteilbüro der Hattersheimer Siedlung, lernte dort das zehnköpfige Integrationslotsenteam kennen und absolvierte selbst eine Basisqualifikation. „Das Team ist mir sehr wichtig, denn dort lerne ich sehr viel und wir können uns gut austauschen“, sagt Sara Girmay Solomon.

Eine bunte Gruppe

Heike Bülter ist die hauptamtliche Koordinatorin und begleitet das Integrationslotsenprojekt seit 2006. Von den zehn Ehrenamtlichen von damals sind noch immer acht aktiv, „auch wenn Herr Yohng-Sang Kim mit seinen nun 84 Jahren bald ,in Rente‘ gehen will“, schmunzelt sie. Die Gruppe ist gut zusammengewachsen und sehr tolerant untereinander, obgleich sie sich aus ganz verschiedenen Religionen, Kulturen und Altersgruppen zusammensetzt. „Wenn es auch in Diskussionen aufgrund unterschiedlicher Positionen mal heiß hergehen kann, sind die Teammitglieder einander sehr zugewandt.“

Bis vor einiger Zeit gab es im Main-Taunus-Kreis regelmäßige Koordinatoren- und Lotsentreffen. Doch durch mehrfachen Personalwechsel ist dies ins Stocken geraten. „Sinnvoll wäre es, im Kreis eine Art Pool zu bilden, dass alle Kommunen wissen, wo welche Sprachfähigkeiten vorhanden sind“, wünscht sich Heike Bülter für die nähere Zukunft. Im Hattersheimer Team werden neun Fremdsprachen gesprochen, unter anderem Türkisch, Arabisch, Russisch, Koreanisch oder Tigrinya (Eritrea), doch zum Beispiel nicht Rumänisch.

Wege weisen

Auslöser für das Integrationslotsenprojekt war, dass eine türkische Verwaltungskraft im Stadtteilbüro immer häufiger von Landleuten um Unterstützung gebeten wurde, sodass man die Notwendigkeit sah, ein entsprechendes Angebot für die Zugewanderten zu machen. Die Anfragen erreichen Heike Bülter von Schulen, Ärzten, Hebammen, Behörden oder ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern, aber auch Hilfesuchende finden selbst den Weg ins Stadtteilbüro. „Zunächst ist die Erwartung der Hilfesuchenden, dass immer ein Ansprechpartner mit ihren Sprachkenntnissen vor Ort ist, aber nach der ersten Begegnung ist das wenigstens geklärt“, lacht Heike Bülter. Sie gibt die Anfragen an ihre Lotsinnen und Lotsen weiter. Immer wieder muss darauf geachtet werden, dass diese nicht als kostenlose Dolmetscher missbraucht werden.

Für Heike Bülter war es wichtig und richtig, dass sich das Integrationslotsenprojekt 2017 hinsichtlich Geflüchteter öffnete. „Wir haben in Hattersheim zum Beispiel viele Afghanen und unser afghanischer Integrationslotse muss immer wieder darauf achten, dass er nur den Weg weist und nicht womöglich seine Hilfsbereitschaft über Gebühr genutzt wird“, hat Heike Bülter beobachtet. Für sie ist ein Migrationshintergrund Voraussetzung, um im Integrationslotsenprojekt ehrenamtlich tätig zu werden. „Denn die eigenen Erfahrungen führen dazu, dass sich unsere Lotsinnen und Lotsen besser in die Situation der Hilfesuchenden einfühlen können.“

Zentrale Qualifizierung im Kreis

Die Basisqualifizierung wird inzwischen über den Caritasverband Main-Taunus und den Main-Taunus-Kreis organisiert. „Wir sind das älteste Integrationslotsen-Projekt im Kreis. Unsere Qualifizierung von 2007 wird noch heute Hattersheimer Modell genannt und ist die Vorlage für die zentrale Schulung neuer Lotsinnen und Lotsen“, erläutert Heike Bülter. Die Vertiefungsseminare werden hingegen vor Ort organisiert, Themen waren beispielsweise „Wege ins Kreishaus“ oder „interkulturelle Kompetenz“. Nach Möglichkeit werden Mitarbeitende aus den Behörden in die Seminare eingeladen, um die konkreten Abläufe und Verfahren zu erläutern. Eine Win-win-Situation für beide Seiten, da die Mitarbeitenden gleichzeitig die Lotsinnen und Lotsen und deren Aufgabenbereich kennenlernen.

Von Gastarbeiterinnen und Hattersheimern

Eine Veranstaltungsreihe im Stadtteilbüro ist Heike Bülter in besonders guter Erinnerung: die Fotoausstellung „Wege in die Fremde“ mit drei Erzählterminen und einer Ausstellung anlässlich des 50. Jahrestages des Abwerbeabkommens zwischen der BRD und der Türkei. „Dabei haben unsere Integrationslotsinnen und -lotsen und teilweise ihre Eltern persönliche Fotos zur Verfügung gestellt und ihre eigenen Geschichten erzählt. So war seinerzeit unser spanischer Integrationslotse das erste ausländische Kind in Hattersheim.“ In der zweiten Erzählrunde berichteten „Kinder der 2. Generation“ über ihre Erlebnisse. Teilweise waren sie von ihren Familien wieder in die alte Heimat zu den Großeltern geschickt worden und kehrten dann nach einigen Jahren zurück. In der dritten Veranstaltung kamen die in Deutschland geborenen Kinder zu Wort, für die ganz klar Hattersheim die Heimat ist. „Alle Veranstaltungen waren gut besucht und zeigten auf, wie wichtig Unterstützung bei der Integration ist“, sagt Heike Bülter.

Wie bei allen Veranstaltungen ist das gemeinsame Essen ein besonders verbindendes Element. Daher ist es für sie nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet Bewirtungskosten beim Integrationslotsenprojekt nicht anrechnungsfähig sind. „Aber vielleicht wird sich daran ja noch etwas ändern, auch Überlegungen zur Kostenübernahme für hauptamtliche Koordinierung und eine höhere Aufwandsentschädigung sind wünschenswert.“ Heike Bülter ist nach wie vor mit ganzem Herzen Koordinatorin für das Integrationslotsenprojekt, „denn es führt zu mehr sozialem Frieden in unserem Stadtteil und in Hattersheim“.